Kurzfristiger Stress führt häufig dazu, dass Essen das Letzte ist, an das man denken mag. Der Magen krampft möglicherweise sogar oder signalisiert deutliche Übelkeit. Die Verringerung des Appetits wird durch ein im Hypothalamus produziertes Hormon namens CRH (corticotropin-releasing hormone) vermittelt, dessen Spiegel schnell ansteigen, aber auch schnell wieder auf ein normales Level zurückfallen. Kurz nach dem CRH-Anstieg erfolgt dann die Ausschüttung des Cortisols, das zunächst ebenfalls den Appetit drosselt. Damit einher geht aber auch ein Anstieg des Insulinspiegels, der nun wiederum zu Heißhunger auf Süßes und schnell verfügbare Kohlenhydrate (z B. aus Weißmehl) führt. Die Stresshormone bewirken in uns ein unwiderstehliches Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln mit viel Zucker, Salz und Fett, also nach Süßigkeiten, Knabbereien und Fast Food. Dabei wirkt Cortisol entweder direkt oder beeinflusst andere Hormone wie Leptin, das die Energiebalance im Körper steuert, sowie verschiedene Enzyme des Glucose-, Fett- und Aminosäurestoffwechsels.
Da Fast Food meist tierische Lebensmittel enthält, liefert es neben Protein auch Cholesterin. Tierische Lebensmittel fördern zudem die körpereigene Cholesterinsynthese und damit die Bildung der Stresshormone Cortisol (aus Cholesterin) und Adrenalin (aus der Aminosäure Tyrosin). Durch den Zucker wird zudem die Insulinausschüttung auf einem konstant hohen Level gehalten, was wiederum das Verlangen nach Süßem steigert. All diese Lebensmittel wirken also wie Doping für den gestressten Körper, damit er sein Energie- und Stresslevel noch länger aufrechterhalten kann. Besonders in stressigen Zeiten ernähren wir uns daher meist unausgewogen. Da durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems die Verdauung und der Stoffwechsel nicht richtig aktiv sind, lagern sich die überschüssigen Kalorien zudem besonders schnell in den Fettzellen ein.
Dieser Teufelskreis kann durch den Wechsel zu einer pflanzenbasierten Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten durchbrochen werden. Aber wie oft haben Sie sich schon mit einer solchen Ernährungsumstellung abgemüht und sind am Ende doch trotz bester Vorsätze in alte Muster zurückgefallen?
Wenn Sie sich vor Augen halten, wie sehr Ihr Körper unter Stress gegen Sie (und gegen sich selbst!) arbeitet, was eine gesunde Ernährung betrifft, werden Sie schnell zu der Erkenntnis kommen, dass Sie nicht einfach willensschwach oder verfressen sind. Der Heißhunger auf Süßes, Salziges und Fettiges ist durch messbare Hormonveränderungen im Körper bedingt, die ihre Ursache im Dauerstress haben. Wenn Sie es also schaffen, Ihren Stress zu reduzieren bzw. Ihren Umgang damit zu verbessern, haben Sie gute Chancen, dass Ihnen auch die Umstellung auf eine gesunde Ernährung leichter fällt. Sie müssen sich gut fühlen, um Ihre Ernährung umzustellen, statt darauf zu warten, dass die Ernährungsumstellung dazu führt, dass Sie sich gut fühlen. Soweit die gute Nachricht, was das Übergewicht betrifft.
Fettzellen machen sich selber fetter
Nun die schlechte: Unabhängig von der Cortisolausschüttung in den Nebennieren wird auch in weiteren Körperzellen Cortisol gebildet. Das relevante Enzym hierfür ist die 11-beta-Hydroxysteroid- Dehydrogenase-1 (HSD), die das inaktive Cortison in aktives Cortisol umwandelt. Cortisol löst in den Zellen ein Signal zur Fettspeicherung aus. Da die HSD insbesondere in Bauchfett- und Leberzellen vorkommt, lagert sich bei aktiver HSD vor allem in diesen Organen Fett ein. Die Folgen sind Fettansammlungen am Bauch und in der Leber.
Mehr Stress führt zu mehr Fett, mehr Fett löst Entzündungen aus, die wiederum dazu führen, dass mehr Fett eingelagert wird usw. Diese Kettenreaktion entfaltet sich über Signalwege, die Cortisol, die HSD und bestimmte Botenstoffe (Cytokine), die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren, beinhalten.
Da die HSD in den Zellen lokalisiert ist, kann der lokale Cortisolspiegel in einem Organ hoch sein, selbst wenn die Cortisolwerte im Blut niedrig sind. Die Aktivität der HSD ist genetisch festgelegt. Bei Adipositas ist die Aktivität der HSD häufig fehlreguliert mit der Folge, dass die Cortisolspiegel innerhalb der Fettzellen dauerhaft zu hoch sind. Zusätzlich steigen die Aktivität der HSD und damit die Fetteinlagerung mit dem Alter. Ungünstigerweise lässt sich die HSD-Aktivität nur sehr bedingt beeinflussen. So können die Cortisolspiegel in den Zellen trotz eines guten Stress-Managements und gefühlter Gelassenheit hoch sein.
Gesättigte Fettsäuren und Transfettsäuren, die über die Nahrung aufgenommen werden, steigern die HSD-Aktivität, ebenso wie Saccharose, also Haushaltszucker. Aktivierend auf die HSD wirken auch Diäten, während das Wachstumshormon Somatropin und Sexualhormone wie Testosteron die HSD-Aktivität senken. Insbesondere für die Gewichtsregulation spielt daher ein ausgeglichenes Cortisol-Testosteron-Verhältnis eine wichtige Rolle. Hier kann Bewegung einen wichtigen Beitrag leisten, da der altersbedingte Abfall der Testosteronspiegel durch den Zugewinn an Muskelmasse zumindest teilweise ausgeglichen werden kann.
Zusätzlich kann die HSD-Aktivität mit Flavonoiden, wie sie zum Beispiel in Orangenschalen (Nobiletin und Tangeretin), Äpfeln und Zwiebeln (Quercetin), Grapefruit (Naringenin) und Sojabohnen (Genistein und Daidzein) vorkommen, reguliert werden. Vielversprechende Ergebnisse konnten mit Glycyrrhetinsäure aus Süßholz, aus dem Lakritz hergestellt wird, erreicht werden. Allerdings wirkt Glycyrrhetinsäure blutdrucksteigernd und kann daher nicht in hohen Dosen zur Kontrolle der HSDAktivität verwendet werden.
Die verborgene Aktivität der HSD ist auch eine mögliche Erklärung für Studien, die keinen Unterschied in den absoluten Cortisolspiegeln normal- und übergewichtiger Probanden finden konnten. Allerdings war bei den Übergewichtigen ein deutlich gestörter Cortisolrhythmus zu beobachten – ein weiterer Beleg für die Bedeutung von Balance in den Cortisolspiegeln.
In einer sehr extremen Form ist dieser gestörte Cortisolrhythmus beim Cushing-Syndrom ausgeprägt. Äußerlich ist diese Krankheit an einem Vollmondgesicht, dem „Stiernacken“ sowie an einer Stammfettsucht, also der Fetteinlagerung im Bauchraum mit der daraus resultierenden „Apfelform“, erkennbar. Möglicherweise kommt Ihnen all das bekannt vor, wenn Sie an männliche Freunde und Arbeitskollegen im mittleren Alter denken. Diese leiden nicht unbedingt an einem voll ausgeprägten Cushing-Syndrom. Die erhöhte Cortisolausschüttung reicht aber aus, um sichtbare körperliche Veränderungen zu bewirken.
Die appetitanregende Wirkung des Cortisols, während gleichzeitig kein Stressabbau durch Bewegung stattfindet, führt zu ei17 ner paradoxen Situation: Wir nehmen Kalorien auf, die wir von vornherein nicht gebraucht hätten, um sie dann nicht zu verbrennen. Diäten haben hier sogar einen verstärkenden Effekt, denn durch die dauernde Beschäftigung mit dem Essen und die Selbstzurückhaltung wird ein zusätzlicher Stressfaktor geschaffen, der die Cortisolspiegel weiter steigen lässt. Der Grundstein dafür, nach dem Ende der Diät wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen und das verlorene Gewicht (und mehr) wieder zuzunehmen, wird also bereits während der Diät gelegt.
Durch die populären Low-Carb-Diäten wird dieser Teufelskreis weiter gefördert, da sie die Cortisolspiegel durch ihren in der Regel hohen Fettgehalt zusätzlich nach oben treiben. Gesättigte Fettsäuren aktivieren die HSD im Fettgewebe und fördern damit die Cortisolbildung.
Zusammengefasst: Diäten machen dick – und das schon, wenn sie nur im Kopf stattfinden!