Die menschliche Verdauung ist ein fein abgestimmtes System. Sie wird durch das enterische Nervensystem gesteuert, welches seinerseits mit dem Zentralnervensystem kommuniziert. Nach dem Zerkleinern der Nahrung durch die Zähne und einer Vorverdauung der Stärke durch Enzyme im Speichel gelangen die Speisen durch die Speiseröhre in den Magen. Dieser ist mit einer starken Schleimhaut ausgekleidet und produziert Magensäure, die vor allem Nahrungsproteine zersetzt. Die Bewegungen des Magens durchmischen den Speisebrei und befördern ihn weiter zum Magenausgang. Anschließend gelangt er in den Dünndarm. Durch die Verdauungssäfte von Bauchspeicheldrüse (Pankreas), Leber und Galle werden die Nahrungsbestandteile aufgespalten und dann von der Darmschleimhaut absorbiert. Im Dickdarm verstoffwechseln Bakterien die Reste, während gleichzeitig Wasser resorbiert und der Speisebrei dadurch eingedickt wird. Im Mastdarm (Rektum) wird der Stuhl gesammelt und am Ende über den After (Anus) ausgeschieden. Stress kann dieses empfindliche System an verschiedenen Stellen stören und zu Verdauungsproblemen führen, sowohl kurzfristig (Übelkeit vor einem wichtigen Termin) als auch langfristig (chronische Verdauungsstörungen, die sich nicht auf eine Infektion oder eine strukturelle Abnormalität zurückführen lassen). Umgekehrt kann auch ein kranker Verdauungstrakt Stresssignale an das Gehirn senden.
Die negativen Auswirkungen von Stress auf die Verdauung sind dabei vielfältig. Durch die Stressantwort des Körpers werden Verdauungsprozesse zunächst zurückgefahren. Daher wird die Blutversorgung der Verdauungsorgane reduziert, ebenso wie die Sekretion von Speichel, Verdauungsenzymen und Substanzen wie z. B. Bicarbonat und Schleim, welche eigentlich die Magenschleimhaut vor der Magensäure schützen sollen. Eine gestörte Beweglichkeit des Darms führt dann zu Verstopfung oder Durchfall, Blähungen und Unwohlsein. Wenn allerdings der Stress nachlässt, werden zwar genug Verdauungsenzyme produziert, die Schutzmechanismen sind aber nach wie vor unzureichend, sodass die Schleimhäute von Magen und Darm angegriffen werden. Daher wird die Entstehung von Magen- und Darmgeschwüren durch chronischen Stress begünstigt.
Wenn Sie Medikamente gegen Sodbrennen einnehmen, ist es am besten, solche zu wählen, die die Säure nicht direkt neutralisieren, z. B. durch Carbonate. Besser ist es, Citrate als Puffer bereitzustellen. Sie entfalten ihre basische Wirkung erst im Zellstoffwechsel und schonen so die Dickdarmflora, die auf ein leicht saures Milieu angewiesen ist. Milchsäurehaltige Nahrungsmittel wie Sauerteigbrot und Sauerkraut sind daher gut für den Darm.
Dauerstress und eine Cortisolresistenz können durch die reduzierte antientzündliche Wirkung des Cortisols zum sogenannten „Leaky-Gut-Syndrom“ beitragen. Dieses beschreibt das Phänomen, dass die Darmschleimhaut löchrig und damit durchlässig wird für Stoffe, die normalerweise den Darm nicht verlassen sollten. Stoffwechselprodukte, Giftstoffe und Antigene (Lipopolysaccharide) von Bakterien führen dann im Körper zu vielerlei Beschwerden, insbesondere zu starken Reaktionen des Immunsystems. In verschiedenen Studien wurde eine Beziehung zwischen dem Leaky-Gut-Syndrom und Morbus Crohn, Zöliakie, Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, rheumatoider Arthritis, verschiedenen Krebserkrankungen, Übergewicht, Fettleber, Reizdarm und Allergien sowie psychischen Erkrankungen nachgewiesen.
Eine Studie mit Piloten, die sich auf eine Kampfsimulation vorbereiteten und daher unter Stress standen, zeigte darüber hinaus, dass die Zahl der „guten“ Dickdarmbakterien (Lactobacillen und Bifidobakterien) sank, während die Zahl der „schlechten“ Darmbakterien (Escherichia coli, Enterobakterien, Clostridien) stieg. Die von einer solchen Fehlbesiedlung (Dysbiose) betroffenen Piloten berichteten in dieser Situation nicht nur von Verdauungsbeschwerden, sondern auch von Halsschmerzen, Erkältungen und Kopfschmerzen – wenig verwunderlich, wenn man sich die enge Verbindung zwischen Darm und Immunsystem ins Gedächtnis ruft.
Auch für Lebensmittelallergiker ist eine gesunde Darmflora wichtig: Bei einer veränderten Zusammensetzung fallen allergische Reaktionen deutlich heftiger aus. Verantwortlich dafür sind die von den Bakterien hergestellten Stoffe. Während eine gesunde Darmflora unter anderem aus Ballaststoffen kurzkettige Fettsäuren produziert, die vor Darmkrebs schützen, stellen „schlechte“ Darmbakterien eine Vielzahl von Stoffen her, die krank machen können.
Auch der Dünndarm kann von einer solchen bakteriellen Fehlbesiedlung betroffen sein. Man spricht dann von „Small Intestinal Bacterial Overgrowth“, kurz SIBO. In diesem Fall beginnt die Zersetzung von Nahrungsstoffen und Ballaststoffen bereits im Dünndarm, was starke Blähungen und Durchfall nach sich ziehen kann. Hier hilft eine Fodmap-Diät, der weitgehende Verzicht auf „fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole“, also Mehrfach-, Zweifach- und Einfachzucker sowie mehrwertige Alkohole. Sorbit und Fruktose sind besonders ungünstig.
Die Motilität des Darms (die natürlichen Darmbewegungen) wird zudem durch die Überaktivierung des Sympathikus, also des Anspannungsnervs, beeinträchtigt. Auch dieser Vorgang lähmt die Verdauungsprozesse.
Der Verdauungstrakt kann also sehr stark auf Stress reagieren. Dabei sind einige der Auswirkungen direkt spürbar, andere sind nicht direkt zu erkennen, sondern äußern sich durch eine Vielzahl von Symptomen, die nicht direkt mit dem Darm in Verbindung zu stehen scheinen. Häufig entwickeln sich im Laufe der Zeit diverse Lebensmittelallergien und Unverträglichkeiten, insbesondere Histamin-Unverträglichkeit, Milch- und Gluten- Unverträglichkeit und Fruktose-Malresorption. Die Histamin- Unverträglichkeit ist dabei sehr häufig und wird meist nicht erkannt, weil sie komplex und daher sehr unpopulär bei Ärzten ist.
Die Störungen sind so komplex und facettenreich, dass mancher Betroffene fast verzweifelt. Ohne den Verzicht auf die auslösenden Lebensmittel ist eine Erholung des Darmes samt seiner Schleimhaut und Flora nicht möglich. Am besten hilft eine radikale hypoallergene Schonkost (z. B. die klassische Kartoffel- Reis-Diät oder noch besser die Quinoa-Regenerat-Diät) für zwei Wochen mit anschließendem, allmählichem Kostaufbau.